Schnodder, Nase, Blumentopf

HATSCHI!“

Gesundheit.“

Danke Ingrid. Aber falscher Wunsch. Besser wäre: Pollen fort!“

Ingrid Uhlemann lacht nur leise und verabschiedet sich dann von mir.

Ich wünschte ich könnte auch lachen. Soll ja angeblich gesund sein, aber meine Worte waren ernst gemeint.

Ich hasse den Sommer. Es ist warm, so, dass ich mich, mit meinem Schwarzen Kleiderschrankinhalt, nur im Notfall nach Draußen wage. Schwarz ist die einzige Farbe die ich tragen kann. Es kaschiert gutmütig meinen kleinen Bierbauch und lässt mich im richtigen Licht fast ein wenig schlank aussehen. Im richtigen Licht bedeutet:

In dunklem Wintergrau.

Mühselig kämpfe ich mich durch den Baumarkt in die Gartenabteilung. Ein Areal, dass ich normalerweise nicht mal betreten würde, wenn ich Krebs hätte und es dort die einzige Pflanze mit einem Heilmittel gebe. Alleine der Gedanke an all die Pollenflusen, die vom Wind nach oben in mein Gesicht geweht werden, um sich dann in Augen- und Nasenschleimhäuten fest zu setzen und meinen Körper dazu veranlassen den Krieg aus zu rufen, lässt mich lauthals niesen.

Wenn mich jemand fragen würde, welche Farbe der Sommer für mich hat, würde ich ohne zu zögern „Schnodder“ antworten. So ein ekliges Grün-gelb wie Popel es eigen haben. Daraus besteht diese Jahreszeit nämlich für mich. Schnodder, Schniefen, Naseputzen.

Ich meide normalerweise alle Ballungsorte von Pollen. Gärten, Parks und generell zu viel Natur. Selbst in meiner Wohnung findet man nichts Grünes. Vielleicht ein wenig trostlos und steril, zumal ich meine feinen Räumlichkeiten penibel sauber halte, aber ich kann nicht einmal solche doofen Plastikblumen kaufen und mir hin stellen. Ich hab nämlich zu allem Überfluss auch noch eine Hausstauballergie. Und diese Dinger sind ja der reinste Staubmagnet!

Doch trotz meiner Abneigung muss ich heute in die Gartenabteilung wo mich blühende Orchideen, Narzissen und sonstiges Gesocksgewächs erwarten.

HATSCHU!“

Da geht es schon los. Bloß schnell zu den Töpfen und dann nichts wie raus hier! Aber so einfach wie ich mir das vorstelle ist es dann doch nicht. Es muss ja der richtige Topf sein. Nicht zu tief, besser in einer Pfannenform. Der ist nämlich für Karl. Der braucht den ganz dringend. Duldet keinen Aufschub mehr. Als ob der nicht bis Winter warten könnte…

Als ich endlich den richtigen Topf finde läuft meine Nase bereits und meine Augen sind böse zu geschwollen, weil sie extrem jucken und ich mich nicht genug unter Kontrolle habe um nicht wie wild zu Rubbeln. Auch wenn ich kaum noch etwas sehen kann entgeht mir die nette Dame nicht, die bei den Geranien steht und sich Walrossähnlich nach einem Exemplar auf den obersten Regalreihen streckt. Ihre Elefantenstampfer, versehen mit abertausenden, blauen Krampfaderwürmchen und weißen Striemen, wo das Gewebe der Haut aufgrund des zu vielen Fettes gerissen ist, stecken in einer Jeans Hotpen, welche die wahre Masse nur schwerlich an Ort und Stelle halten kann. Den voluminösen Oberkörper presst eine zart rosa Seidenbluse dürftig in eine Form und unter den Achseln und am Rücken hat sich der Schweiß seine Bahnen gesucht. Noch etwas, das mich am Sommer stört. Schön wenn solche Leute Selbstvertrauen haben, aber müssen es Hotpen und Blüschen in drei Nummern zu klein sein? Mich stört dieser Anblick. Mit meinem Unrasierten Kinn, der ungesund blassen Haut und dem Bierbauch, der permanent über dem Hosenbund hängt, bin ich auch keine Schönheit, aber diese Schönheitsmakel muss ich ja nicht gleich jedem unter die Nase reiben.

HAAATSCHIPISCHU!“

Das Walross,- pardon, die Dame dreht sich um und nickt mir übertrieben Lächelnd zu.

Gesundheit! Eine Erkältung bei diesem schönen Wetter?“

Ich zwinge mich zu einem gequälten Lächeln, dass mir nicht mal ein vollständiger Idiot abnehmen würde und antworte kurz angebunden:

Allergie.“

Ach, sie Armer. Aber die Sonne macht doch alles wieder Wett, nicht wahr?“

Ich brumme irgendeine ironische Zustimmung und begebe mich zur Kasse. Noch etwas, dass mich am Sommer stört. Sobald die ersten Sonnenstrahlen durch die wunderbar grauen Wolken brechen und über die Haut der Frischluftfanatiker Vitamin D in ihren Organismus gepumt wird, werden alle so überaus fröhlich. Das dauert aber auch nur, bis das Thermometer die 30 Grad Grenze überschritten hat. Plötzlich meckern wieder alle, es sei zu warm. Verstehe das einer.

Bei meinem Glück ist an der Kasse natürlich eine Schlange, wie sie sonst nur bei Ausverkäufen oder vor Feiertagen ist. Ich habe mich gerade angestellt, als mir ein beißender Geruch in die eigentlich noch immer Schnodderverseuchte Nase dringt. Ich muss die Hand vor den Mund nehmen um mich nicht zu übergeben. Schlimm genug, dass alle Leute wie ausgesetzte Pinguine in der Sahara schwitzen, aber anscheinend fällt es niemandem auf, dass Parfüm, vor allem zu viel und zu aufdringlich, das Problem des Schweißgeruchs nicht löst. Und hier an der Kasse sind es mindestens drei verschiedene Duftnoten die zusammen kommen. Süßlich mischt sich mit Herb und schwer und bekommt einen, fast schon überdeckten, Schweißzusatz. Am liebsten würde ich hinaus rennen um an die frische Luft zu kommen. Aber Karl braucht den Blumentopf und ch habe mich doch nicht umsonst in die Höhle des Löwen begeben und mein Leben riskiert, nur um jetzt einen Rückzieher zu machen! Also halte ich den Gestank aus, nehme mir noch ein Flutschfinger Eis für zu Hause mit und bezahle, nach einer gefühlten Ewigkeit, meinen Einkauf.

Als ich hinaus in die Sonne trete wird meine Haut fast sofort mit einem eklig klebrigem Schweißfilm bedeckt. Der durch meinen kurzen Bürstenhaarschnitt unbedeckte Nacken fängt zu Jucken an. Bestimmt bekomme ich nun auch noch einen Sonnenbrand. Etwas, dass mir im Winter sicherlich nicht passiert wäre!

Zum Glück ist mein Weg nach Hause nicht all zu weit. Lediglich den Häuserblock nach unten und dann über die Straße. Die Zeit reicht um leicht in mich hinein zu lächeln. Karl wird der Blumentopf gefallen. Und dann kann er schon heute Abend auf dem Fensterbrett stehen und die untergehende Sonne genießen.

Karl kam vor gut acht Jahren zu mir. Ich mochte ihn sofort, trotzdem unsere Gewohnheiten gemäß des Wetters und der Jahreszeit abweichen. Er kommt aus Mexiko und liebt die warme Zeit des Jahres, während er im Winter fast eingeht. Dennoch habe ich ihn behalten. Denn Karl hat bei mir noch nie einen Niesanfall ausgelöst.

Ach so, beinahe hätte ich vergessen zu erwähnen: Karl ist ein Kaktus. Ein männlicher Kaktus. Ich glaube aus der Gattung der Seeigelkakteen. Aber so genau weiß ich das nicht. Und woher ich weiß, dass er männlich ist? Gut, sicher kann ich da nicht sein, aber ich habe mal gelesen, dass nur weibliche Kakteen blühen und Karl hat mich bisher damit verschont. So wie echte Kumpels das eben machen. Mit so einer blöden Blüte sähe er auch ziemlich tuntig aus. So etwas steht dem gar nicht.

Den Häuserblock habe ich bereits hinter mich gebracht und inzwischen sind meine Klamotten von Schweiß durchnässt. Die Hose klebt mir zwischen den Poritzen fest und will sich nicht fortziehen lassen.

Ein widerliches Gefühl.

An der Ampel, zum überqueren der Straße, muss ich warten und entscheide, dass ich mein Eis eigentlich auch schon jetzt essen kann, nur leider ist es inzwischen so weich geworden, dass es beim herausnehmen abbricht und zu Boden fällt.

Ich hasse den Sommer.

Zu allem Unguten beginnen meine Beine fürchterlich zu jucken. Mein salziger Schweiß hat die Juckparameter der gefühlten hundert Mückenstiche an meinem Bein aktiviert und nun stehe ich an der roten Ampel auf einem Bein humpelnd um das andere zu kratzen, trete dabei in mein heruntergefallenes Eis und mein T-shirt rutscht nach oben um meinen antrainierten Bierbauch zu entblößen. Bin ich froh wenn ich zu Hause bin.

Endlich springt die Ampel auf Grün und ich will eiligen Schrittes zum schattigen Hauseingang flitzen, als ich plötzlich mit dem linken Fuß nicht mehr weiter komme.

Wer hat sich so etwas wie Teer bitte ausgedacht? Ob derjenige sich jedes Jahr aufs neue ins Fäustchen lacht, weil durch ihn im Sommer hunderte von Schuhen ruiniert werden? Oder wie in meinem Fall: Dass sie einfach stecken bleiben?

Ich rutschte mit einem leisen >Uff< aus meinem Turnschuh, der wie fest gewachsen auf der Teerstraße stehenbleibt.

Oh, vermaledeiter Sommer!“

Fluche ich und bücke mich hinunter um den Schuh aus seiner Falle zu befreien, der wiederum aber erst nach einem leisen Schmatzgeräusch die Umarmung des Teers verlässt.

Dieser Schuh ist hin.

Halb hüpfend, halb humpelnd komme ich endlich in meiner Wohnung im zweiten Stock an und hole erst einmal tief Luft. So, die nächsten 48 Stunden verlasse ich meine kühlen vier Wände sicherlich nicht mehr.

Meine Tasche lege ich auf dem Küchentisch ab und sehe durch das Fenster, dass die nette Blondine aus dem Nachbarhaus wieder Oben-Ohne-Bräunen macht. Gut, so was bekommt man im Winter nicht zu sehen. Aber ihr Freund ist ein Stier von einem Mann, mit dem will ich es mir ganz sicher nicht verscherzen.

Als ich so durch meine Wohnung torkle, ganz ausgedörrt und erschöpft, befinde ich, dass es am besten ist, sich für den Rest des Sommers einfach hier zu verschanzen. Abwarten bis der Herbst hereinbricht und seine kühlenden Regenfälle bringt. Karl und ich überstehen das schon. Ich trete in die Wohnstube, wo Karl auf dem Fensterbrett steht und auf seinen neuen Topf wartet. Und als ich näher trete, bemerke ich etwas Rotes auf seinem Kaktuskopf. Eine einzelne, wunderschöne, rote Blüte hat er sich aufgesetzt und steht ganz stolz damit da, als wolle er sagen: Na, schaut doch schick aus, ne?“

Verräter! Karl ist ein Mädchen!

Ich beuge mich misstrauisch hinab und hänge meinen Zinken über die kleine Blüte um einen tiefen Atemzug zu nehmen. Dann warte ich gespannt. Aber kein Niesen, kein Augenjucken beginnt mich zu quälen und langsam breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus während ich meinen Kaktus umtopfe.

Seitdem blüht Karla jeden Sommer und es gibt tatsächlich eine Sache, auf die ich mich in dieser Jahreszeit freue.“

~ Lynn K. Richards


Diese kleine Kurzgeschichte habe ich für die Lesung „Farben des Sommers“ geschrieben.

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Über Kalassin

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